Die Stanford-Story

Ein fiktive Geschichte in 5 Teilen von Gerd Kötter
anlässlich der Aufführung des Evensongs am 21. Oktober 2023
in St. Sebald in Nürnberg
(nähere Informationen zum Evensong unter der Rubrik „Klang.Raum.Musik“)
Die Standford-Story bezieht sich auf die Komposition
„Magnificat & Nunc dimittis“ in B (opus 110) von Charles V. Stanford

Am Ende finden sich die Biografien von Charles Villiers Stanford, Charles Wood und Rebecca Clarke, sowie ein Information über das „Dresdner Amen“ (im Nunc dimittis“).

Teil 1 (8. Oktober 2023)

Freitag,  18 Oktober 1902, gegen 15.00 Uhr

Wir befinden uns im altehrwürdigen Gebäude der Universität Cambridge aus dem 16. Jahrhundert:

Das Gebäude besteht aus einzelnen Teilen mit verwinkelten Treppenaufgängen und langen, dunklen Fluren mit vielen Türen. In einem dieser Korridore im zweiten Stock war die musikwissenschaftliche Abteilung untergebracht. Von überall her hörte man Musik.
Und hier spielte sich auch die folgende Szene ab:

Eine der Türen wurde plötzlich aufgestoßen. Heraus stürmte ein aufgebrachter Student, dessen Gesicht die Farbe seines roten Haarschopfes angenommen hatte. Hinter ihm her flog ein Stapel Noten und verbreitete sich auf dem Fußboden des langen und dunklen Flures. Aus dem Zimmer dröhnte es: „All rot, my boy! It’s damned ugly, my boy!“

Dann knallte die Türe wieder zu. Stille. Nur das Rascheln der verstreuten Notenblätter, die ein Windstoß von einem offenen Fenster durcheinander wirbelte, war zu hören. In diese Stille hinein hörte man jedoch trotzdem sehr deutlich das leise Fluchen dieses jungen Mannes: „Ich hasse ihn, ich bring ihn noch …“ (natürlich auf englisch). Kurz danach öffnete sich einige Zimmer weiter sehr vorsichtig eine Türe. Heraus lugte eine junge Dame mit einer Bratsche in der Hand.

„Take it easy, Charles, du weißt, er meint es nicht doch gar nicht so“ versuchte sie den aufgebrachten Studenten der Komposition zu trösten.

Die schimpfende Stimme gehörte dem 50jährigen Sir Charles Villiers Stanford, Professor für Komposition an der Universität Cambridge. Der Student, dem die harschen Worte zugerufen wurden, war der 36jährige Charles Wood, ein sehr vielversprechender Schüler von Charles V. Stanford. Wie Stanford stammte auch er aus Irland und war mit dem gleichen aufbrausenden Temperament ausgestattet. Die junge Dame mit der Bratsche in der Hand war Rebecca Clarke (für die Stanford-Story habe ich sie etwas älter als in Wirklichkeit gemacht, 1902 wäre sie erst 16 Jahre alt gewesen). Sie sollte eine der faszinierendsten Frauengestalten in der Musikwelt Großbritanniens und der USA vom Ende des letzten bis weit in die zweite Hälfte dieses 20. Jahrhunderts werden. Sie war sowohl als Komponistin als auch als Bratschistin eine Pionierin, die sich als eine der ersten Frauen auf ihrem Gebiet international äußerst erfolgreich durchsetzen konnte und für Furore sorgte. Auch sie war Schülerin von Stanford und im seinem großen Schülerkreis natürlich die einzige Frau. Sie verehrte Charles Wood sehr und liebte vor allem seine wuscheligen roten irischen Haare.

„Nie kann man es ihm recht machen“ schimpfte Wood. „Befolgt man beim Komponieren die strengen Regeln des Kontrapunktes, kanzelt er einen als langweilig und altmodisch ab. Versucht man was Neues, schimpft er, man sollte erst mal die alten Regeln beherrschen. Ich hab‘ das satt hier. Ich hau‘ ab. Sollen sie doch machen, was sie wollen. Aber vorher, grrr… die letzten Worte konnte man vielleicht erahnen.

Rebecca Clarke erbleichte und errötete in einem. Das Erbleichen bezog sich auf die Worte „Aber vorher …“ zusammen. Das Erröten bezog sich auf die Worte „Ich hau hier ab“. Bitte nicht weggehen, dachte sie, und erinnerte sich an die schönen Augenblicke, wo sie neben ihm auf der Orgelbank saß, umblätterte oder registrierte, ganz nah bei ihm. (Man muss wissen, in den englischen Kathedralen ist der Spieltisch von außen meist nicht einsehbar hinter dem Orgelprospekt verborgen) – und Charles Wood war diese Nähe wohl gar nicht unangenehm.

Rebecca wollte Charles gute Laune machen. „Aber deine letzte Elegie für Viola und Orgel kam doch gut an. Wollen wir sie nicht mal wieder spielen?“

Aber Charles Wood hatte sich so in seine Wut hineingesteigert, dass er gar nicht richtig zuhörte. Trotzig und mit finsteren Gedanken stampfte er davon. Seine Schritte hallten Unheil verkündend durch den langen Flur.

Rebecca zog sich traurig in ihr Übungszimmer zurück. Seufzend nahm sie ihre Bratsche in die Hand und intonierte einen wehmütigen Klagegesang.

TEIL 2

Freitag, 18. Oktober 1902, kurz nach 17.00 Uhr

Im Probensaal sind soeben sind die letzten Takte von Stanfords „Nunc dimittis“ in B-Dur opus 10 verklungen. Die große Doppeltüre wurde aufgestoßen und heraus stürmten ca. 20  aufgekratzte Jungs und Studenten mit großem Appetit. Man spürte nichts, dass sie gerade ein inniges Amen intoniert hatten. Stanford war persönlich bei der Probe dabei und war zufrieden mit dem klanglichen Ergebnis seiner Komposition aus dem Jahre 1879, schon ziemlich lang her. Der Chorleiter, der alte Gilderoy Lockhart, war allerdings nicht so glücklich, er musste die Probe vom Klavier aus leiten; das mochte er nicht gerne, er sah nämlich nicht mehr so gut. Eingeteilt für die Korrepetition war Charles Wood, aber der war nicht gekommen. Gilderoy Lockhart hatte die dramatische Szene auf dem Flur mitbekommen. Mit einem bedenklichen Blick zu Stanford meinte er, vielleicht habe er den Wood diesmal zu hart getadelt. Stanford wusste es schon gar nicht mehr, denn er war alles andere als nachtragend und machte sich jetzt insgeheim Vorwürfe für seine harsche Kritik an einem seiner besten Schüler.

Die Lichter wurden ausgelöscht, die Türe wurde geschlossen, Lehrer und Schüler gingen zum Abendessen in den großen Speisesaal. Dort waren allerdings 4 Plätze leer: Der von Sir Stanford, der von Charles Wood, der von Rebecca Clarke und – noch ein weiterer Platz.

Stanford hatte sich vor dem Speisesaal von Gilderoy Lockhart mit den Worten verabschiedet, er wolle jetzt noch in die Universitätskirche gehen, um Orgel zu spielen. „Bis später“ rief er ihm nichts ahnend zu.

Stanford liebte diese Kirche. „Great St. Mary’s“ ging auf das 12. Jahrhundert zurück. Er mochte das dunkle Tonnengewölbe aus Holz, die schlanken Säulen und die breiten Emporen, die erst vor 100 Jahren eingezogen wurden. Er schätze die Orgel von William Hill, die erst 30 Jahre alt war. Sie nahm zwar das Pfeifenmaterial der altehrwürdigen Orgel von 1684 auf, aber mit 33 Registern, verteilt auf 3 Manualen und Pedal, entsprach das Instrument voll und ganz den romantischen Klangvorstellungen von Stanford.

Stanford kannte den Weg zur Orgel sehr gut, deshalb verzichtete er, eine Kerze mitzunehmen. Trotzdem kam ihm die Kirche bei Dunkelheit immer ein bisschen unheimlich vor. In dem ehrwürdigen Gemäuer mit den alten Bänken knarzte dauernd etwas und der Wind ließ oft unheimliche Geräusche entstehen.

Einmal hatte der Küster aus Versehen einen Studenten eingeschlossen. Der ist auf einer Bank im hinteren Teil der Kirche eingeschlafen und fuhr verstört hoch, als Stanford seinerzeit durch die dunkle Kirche tappte. Beide erschraken fürchterlich.

Als Stanford also in die Kirche hinein ging, hielt er inne. Es ertönte seine Toccata und Fantasie d-moll opus 57 – fantastisch gespielt. Er setzte sich in eine Bank und lauschte angeregt. So kann das doch nur der Wood spielen. Fast wollte er sich zu einem stillen Lob „I like it, my boy“ hinreißen lassen. Da mischten sich plötzlich harte Dissonanzen ein und wütende Akkorde zerschlugen im fortissimo die wunderschöne Musik.

Dann wurde es abrupt still. Stanford hörte, wie der Deckel des Spieltisches zugeknallt wurde und eilige Schritte nach unten kamen. Er wollte nicht gesehen werden und versteckte sich hinter einer Säule.

Da hörte er ein Geräusch hinter sich. Als er sich umdrehte, sah er noch den Kerzenständer auf sich zukommen, dann sank er zu Boden. In Erinnerung hatte er einen bestimmten Duft, den er zwar irgendwo her kannte, aber in diesem Augenblick nicht einordnen konnte.

TEIL 3

Freitag, 18. Oktober 1902, ab 17.00 Uhr

Zur Erinnerung: Die Chorprobe mit Stanfords „Nunc dimittis“ war kurz nach fünf zu Ende, und Sir Stanford wollte noch in die Kirche gehen. Dort saß schon eine ganze Weile Rebecca Clarke. Die Worte von Charles Wood „ich hau hier ab, aber vorher …“ hatten sie sehr verwirrt; jetzt suchte sie Trost und Ruhe in der Kirche. Von wegen Ruhe suchen und finden. Die Türe wurde aufgestoßen und Rebecca Clarke hörte polternde Schritte. Sie erkannte ihn sofort am Temperament: Charles Wood stürmte zur Orgelempore hoch. Dann lauschte sie versunken den Klängen der Orgel. Sie bemerkte nicht, dass auch Sir Stanford inzwischen in die Kirche gekommen war. Und sie nahm auch nicht wahr, dass eine weitere Person den Kirchenraum betreten hatte. Plötzlich zerbrachen dissonante Akkorde das Orgelspiel. Dann eilte Charles Wood von der Empore herunter, ganz nah an ihr vorbei, er sah sie aber nicht. Dann hörte sie einen dumpfen Schlag, ein Körper fiel zu Boden.

Rebecca rannte zum Altar, holte sich eine der Kerzen vom Altar und mit einem zittrigen „Ave Maria, bitte für uns in der Stunde der schweren Not – oder so ähnlich – diesmal nicht auf englisch sondern auf lateinisch, hastete sie zurück und dann – dann sah sie ihn liegen mit blutverschmiertem Kopf: Sir Charles Villiers Stanford – regungslos. Rebecca war einer Ohnmacht nahe. Aber ein bestimmter Duft, den sie nicht einordnen konnte, blieb ihr in Erinnerung. Hastig bekreuzigte sie sich und mit einem markerschütternden Schrei stürzte sie aus der Kirche hinaus.

TEIL 4

Rebecca Clarke stand kreidebleich im Flur der Universität und schluchzte herzerweichend.

Schüler und Lehrer wurden von dem Schrei aus der Kirche bei ihrem Abendessen gestört und traten nun auf den Gang und fragten, was denn los wäre. Naja, irgendwie brachte Rebecca es dann doch heraus „…. Sir Stanford ….. er liegt in der Kirche“. Sie verschwieg allerdings, dass sie gesehen hatte, wie Charles Wood mit großer Wut von der Orgelempore heruntergerannt war.

Übrigens, neben Charles Wood und Rebecca Clarke gab es natürlich noch mehrere Schüler von Charles Villiers Stanford. Die Namen sagen uns heute nichts mehr. Zu seinem Schülerkreis gehörten zum Beispiel Hector Dagworth-Granger, Malcolm Baddock oder Dudley Dursley. Sie waren längst nicht so begabt wie Charles Wood und mussten manch herbe Kritik über ihre Werke ertragen. Wir kennen ja die Worte ihres Lehrers: „All rot, my boy! It’s damned ugly, my boy!“ Einer von ihnen, Dudley Dursley, litt am meisten. Er wurde nur selten zum Orgelspiel für den hoch angesehenen Evensong in der Universitätskirche Great St. Mary’s eingeteilt, ob wohl sein Orgelspiel so schlecht auch nicht war. Er konnte Charles Wood überhaupt nicht leiden und versuchte immer wieder, ihm Hindernisse in den Weg zu legen. Er war neidisch auf alle. Aber er war auch eitel. Und viel Zeit verbrachte er an seiner Frisierkommode, die mit allerlei Duft-Fläschchen ausgestattet war.

Alle rannten also in die Kirche. Dann fanden Sie Sir Stanford. Er hauchte „Wood ….“ Was die die Leute in ihrer Aufregung aber nicht hörten, waren die restlichen Worte „ …. so good“. Da meldete sich auch schon Dudley Dursley zu Wort: „Ich habe ihn gesehen, wie er aus der Kirche kam, damned Charles Wood, er hat ihn umgebracht.“

Der alte Chorleiter Gilderoy Lockhart saß zusammengesunken auf einer Kirchenbank und summte „Lord, now lettest Thou thy servant depart in peace …“ und alle stimmten wehmütig in das wunderschöne Amen mit ein, wobei dem einen oder anderen eine dicke Träne über die Wange rollte.

Teil 5 erscheint am Freitag, 20. Oktober

TEIL V

Freitag, 18 Oktober 1902, nach 18.00 Uhr

Charles Wood war inzwischen in seinem Zimmer angekommen und packte seine Sachen zusammen. „Nichts wie weg hier“ dachte er. Als er durch den Hintereingang der Uni verschwinden wollte, um mit einem der Boote auf den Kanälen von Cambridge das Weite zu suchen, stieß er mit Rebecca zusammen. „Wie konntest Du das tun, du Mörder! Und ich habe so an dich geglaubt“ schluchzte sie und schlug gleichzeitig mit Fäusten auf ihn ein.

„He, was meinst du?“ fragte Wood völlig perplex.
„Du hast ihn umgebracht. Ich habs gesehen, aber ich habs niemanden gesagt“ schrie sie ihn an.
„Wen denn?“
„Unseren verehrten Lehrer Sir Stanford – in der Kirche.“
„Was redest Du! Ich hab‘ niemanden umgebracht, in der Kirche war kein Mensch. Wenn, dann habe ich sein Stück umgebracht und mit Klängen zerstört“.

Rebecca hielt inne. Sie versuchte, sich die Situation noch mal in Erinnerung zu holen: Den dumpfen Schlag und  …. den Duft, ja den Duft.

Wie von Schuppen fiel es ihr von den Augen, oder besser von der Nase. Und jetzt wusste sie es: Der Duft war das Parfum von Dudley Dursley. Er war es!

„Komm, wir müssen es ihnen sagen“ Sie packte Charles Wood und zog ihn mit. Charles Wood war davon nicht so begeistert, ließ aber es aber dann doch mit sich geschehen.

Im Korridor, der  vor der Universitätskirche in das Unterrichtsgebäude ging, hatten Lehrer und Schüler inzwischen Stanford auf eine Liege gelegt. Komisch, die Stimmung war gar nicht mehr so betrübt wie vorhin. Sie standen um die Liege herum und merkten gar nicht, wie Rebecca und Charles kamen. Der alte Gilderoy Lockhart saß neben Stanford auf der Liege. Ja, Sir Charles Stanford lebte. Da sah er Charles Wood kommen. Er streckte seine Arme aus: „Wood – so good“ und umarmte ihn.

Etwas abseits stand Dudley Dursley. Rebecca deutet auf ihn. „Er wars, ich habs gerochen!“ Einige begannen zu schmunzeln wegen dieser etwas eigenartigen Identifizierung. Dudley Dursley sprang auf. Mit einem hasserfüllten Blick auf alle, vor allem auf Charles Wood und Rebecca Clarke, rannte er weg. Im Raum blieb eine Duftwolke seines Parfums.

Tja, wie ging die Geschichte weiter? Charles Stanford hatte lediglich eine kleine Gehirnerschütterung erlitten und war schnell wieder der alte unleidliche Lehrer. Dudley Dursley ward nicht mehr gesehen. in seinem Zimmer hing noch für einige Zeit der Duft seines Parfums, das ihn ja schließlich überführt hatte.

Ob Charles Wood und Rebecca Clarke je zueinander gefunden haben, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass von nun an Sir Charles Stanford seinen Schüler und Landsmann Charles Wood viel mehr Anerkennung zu teil werden ließ, und im Unterricht immer weniger „All rot my boy“ sondern  immer mehr „I like it, my boy“ zu hören war.

Ja und schließlich machte Sir Charles Stanford seinen besten Schüler Charles Wood zu seinem Nachfolger als Professor für Harmonielehre. FINE

Biografien von Sir Charles Villiers Stanford / Charles Wood / Rebecca Clarke

Sir Charles Villiers Stanford (geboren 1852 in Dublin; gestorben 1924 in London)
Die Familie von Charles Villiers Stanford war ausgesprochen musikalisch. Der Vater, ein wohlhabender irischer Anwalt, betätigte sich als Sänger, die Mutter als Pianistin. In diesem Umfeld wurde Stanfords außergewöhnliches Talent schnell erkannt und gefördert. Schon als Kind lernte er Klavier und Orgel bei bekannten Lehrern in Dublin. Mit 10 Jahren studierte er bereits in London, mit 18 Jahren in Cambridge am Queens’ College, und mit 21 Jahren war er am Trinity College in Cambridge als Organist tätig. Im Alter von 22 Jahren folgten Studienaufenthalte in Leipzig und Berlin. Mit 31 Jahren lehrte er am Royal College of Music in London Komposition, und mit 35 Jahren war er Professor für Musik an der Universität Cambridge. Bis zu seinem Tod im Alter von 72 Jahren blieb Stanford Professor für Komposition in Cambridge und London. Wie viele bedeutende englische Musiker wurde er in der Westminster Abbey beerdigt. Seine Grabplatte trägt die Aufschrift A great musician.
Neben einer fast unüberschaubaren Menge an Geistlicher Musik komponierte Stanford sieben Opern, sieben Sinfonien, sechs Irische Rhapsodien, drei Klavier- und zwei Violinkonzerte, ein Cellokonzert, ein Klarinettenkonzert und viele kammermusikalische Werke. Daneben trat er als Herausgeber irischer Volksmusik hervor. Allein für die Gattung des „Evensong“ hat er  sechs Vertonungen des Magnificat und des Nunc dimittis geschrieben.
Manche seiner Kompositionen zeigen starke Anklänge an die Musik von Johannes Brahms, gelegentlich auch an diejenige von Anton Bruckner. Gleichzeitig war Stanford ein Pionier in der direkten Verwendung irischer Volkslieder in seinen Kompositionen.
Im Cambridge gründete Stanford einen gemischten Chor The Amateur Vocal Guild, der zu einer starken Konkurrenz der bestehenden Cambridge University Musical Society (CUMS) wurde. Damals konnten in dieser Society Frauen keine Mitglieder sein. – (Es gab allerdings auch noch kaum weibliche Studenten. Das erste Ladies‘ College wurde 1869 gegründet, zwei weitere folgten 1872 und 1885, dann änderte sich nichts mehr bis 1954. Frauen waren erst ab 1948 volle Mitglieder der Universität).
Die Mitglieder der CUMS beschlossen aus Angst vor Konkurrenz rasch, dass auch in ihrer Society Frauen Mitglieder werden könnten. Unter Stanford vereinigten sich dann die beiden Ensembles und wurden so zu einer bedeutenden Organisation, die unter anderem die britische Erstaufführung der ersten Symphonie von Johannes Brahms ermöglichte.
Neben seiner Tätigkeit als Lehrer für Komposition in London und Cambridge leitete er von 1885–1902 den London Bach Choir, war von 1888–1910 Dirigent des Leeds Triennial Music Festival und war von 1904–1919 Mitglied der Preußischen Akademie der Künste Berlin.
Gemeinsam mit Hubert Parry und Edward Elgar trug Stanford entscheidend zur Erneuerung der englischen Musik bei. Er ebnete den Weg für die sogenannte English Musical Renaissance zu Beginn des 20. Jahrhunderts, deren wichtigster Vertreter dann Ralph Vaughan Williams wurde. Zu den Schülern von Stanford gehören unter anderem Arthur Bliss, Herbert Howells, John Ireland, Gustav Holst, George Dyson, Charles Wood (!) und Rebecca Clarke (!).
Stanford galt als strenger Lehrer, dessen Unterrichtsmethoden auf den ersten Blick kein System zu haben schienen. Gegenüber seinen Studenten pochte er unnachgiebig auf Einhaltung kompositorischer Standards und quittierte jede Schlamperei mit einem kurzen „All rot, my boy“ oder „It’s damned ugly, my boy“. Sehr selten war ein Lob zu hören: „I like it, my boy“.
Sein explosives Temperament brachte ihn immer wieder in Konflikt mit der Verwaltung der Universität. Auch einige seiner Schüler distanzierten sich später von ihm.
Charles Grove, der Direktor des Royal College of Music London erinnerte sich nach einer Vorstandsitzung: „Irgendwie war dauernd der Geist des Teufels in Stanford und machte ihn deswegen so nervig, streitsüchtig und widersprüchlich, wie kaum ein Mensch es überhaupt sein kann. Aber er ist ein bemerkenswert kluger und fähiger Typ, so einfallsreich und voller Kraft, ohne Zweifel –  aber all das muss man sich erkaufen und zwar zu einem sehr teueren Preis im alltäglich Umgang“.

Charles Wood (1866-1926)
Charles Wood erhielt seine erste musikalische Ausbildung als Chorsänger in der St. Patrick’s Cathedrale in Dublin, an der sein Vater Laienvikar und Diözesan-Kanzler war. Ab 1883 studierte er am Royal College of Music bei Charles Villiers Standford Komposition und bei Hubert Parry an der University of Cambridge. Danach wurde er Assistent von Stanford am Royal College of Music  und folgte nach dessen Tod 1924 als Professor für Harmonielehre und Kontrapunkt.

Rebecca Clarke (1886-1979)
1903 begann Rebecca Clarke ein Studium an der Royal Academie of Music in London. Das Studium fand allerdings 1905 ein abruptes, durch den Vater erzwungenes Ende, nachdem der Dozent für Harmonielehre Percy Hilder Miles ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte (Miles starb 1922 und vermachte ihr seine Stradivari-Violine). Im Januar 1908 nahm sie ein Kompositionsstudium am Royal College of Music in London auf. Sie wurde einer der ersten Studentinnen bei Charles Stanford. Auf dessen Rat hin verlegte sie den Schwerpunkt ihrer Instrumentalausbildung von der Violine zur Viola, die erst ab dieser Zeit als ernstzunehmendes Soloinstrument galt. Rebecca Clarke konnte das Studium am Royal College allerdings nicht zu Ende führen, da sie 1910 von ihrem Vater ohne jede finanzielle Unterstützung aus dem Haus geworfen wurde. Diesem endgültigen Zerwürfnis mit dem Vater vorausgegangen war ein Streit über dessen außereheliche Affären.1942 nahm Rebecca Clarke eine Tätigkeit als Kindermädchen in Connecticut auf. Ab diesem Zeitpunkt kam ihre kompositorische Aktivität fast völlig zum Erliegen, und sie trat auch kaum mehr als Interpretin in Erscheinung. Clarke verkaufte später die Stradivari-Violine, die sie von Miles geerbt hatte, und rief an der Royal Academy of Music den May Mukle Prize ins Leben, benannt nach der Cellistin, mit der sie häufig konzertiert hatte. Dieser Preis wird bis heute jährlich an herausragende Cellisten verliehen.1967, nach dem Tod ihres Ehemannes, begann Clarke mit der Niederschrift ihrer Memoiren mit dem Titel „I Had a Father Too (or the Mustard Spoon)“. Diese wurden 1973 abgeschlossen, blieben bislang jedoch unveröffentlicht. Darin beschreibt sie ihre frühe Kindheit, geprägt durch gespannte Familienverhältnisse und den brutalen Umgang ihres Vaters mit seinen Kindern. Clarke starb 1979 93-jährig in ihrer Wohnung in New York.

Das Dresdner Amen
Das Dresdner Amen wurde seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Messliturgie der katholischen Hofkirche in Dresden gesungen.
Der Chor  antwortete so, stellvertretend für die anwesende Gemeinde mit dem Amen, Als Komponist gilt Johann Gottlieb Naumann, der ab 1764 den Titel Kirchencompositeur am Dresdner Hof innehatte.
Die Melodie steigt in schlichter diatonischer Linie um eine Quinte auf, beginnend auf der Quintstufe des Ausgangsakkords und endend auf der Quintstufe des Zielakkords. Dabei wird eine Modulation um eine Stufe des Quintenzirkels aufwärts vollzogen. Diese einfachen Mittel erzeugen eine einprägsame musikalische Geste von „Erhebung“.
Die Liturgie des königlich-kurfürstlichen Hofs war eine Attraktion für Dresdenbesucher aller Konfessionen, und das prägnante Amen wurde rasch in den lutherischen Kirchen der Stadt und des Landes heimisch, wobei seine „katholische“ Herkunft in Vergessenheit geriet.
So erlangte das Dresdner Amen als musikalisches Motiv für die Musik des 19. Jahrhunderts große Bedeutung. Unter anderem wurde es von Felix Mendelssohn Bartholdy im Kopfsatz seiner Reformations-Sinfonie, von Gustav Mahler im Schlusssatz seiner 1. Sinfonie und von Louis Spohr in der Sonate für Violine und Klavier (op. 96) verwendet. Auch Anton Bruckner verarbeitete es in verschiedenen Motetten, im Finale seiner 5. Sinfonie und als zentrales Thema des dritten Satzes seiner 9. Sinfonie.
Besonders intensiven Gebrauch machte Richard Wagner von diesem musikalischen Fragment, das er als Knabe im Gottesdienst der Dresdner Kreuzkirche kennengelernt hatte. Er zitiert es im Liebesverbot, im Tannhäuser und vor allem im Parsifal, wo es als Grals-Leitmotiv erklingt.